Tagebuch 24.09.2000

Olympische Spiele Sydney 2000

Tagebuch 24.09.2000

1 Goldmedaille, 2 Silbermedaillen, 3 Bronzemedaillen lautet aus deutscher Sicht die Bilanz des 9. Wettkampftages. Auf den ersten Blick ein gutes Ergebnis, aber wie sieht es auf den zweiten Blick bzw. bei genauerem Hinsehen aus? Wir wollen hier nicht als Miesmacher der Nation auftreten, aber ist das Ergebnis des 9. Wettkampftages wirklich so gut wie es auf den ersten Blick wirkt?

Wir möchten deshalb dieses Ergebnis bzw. das Abschneiden der deutschen Olympioniken am heutigen Tage näher analysieren. Konstatieren muss man, und dieser zweite Blick auf den Medaillenspiegel zeigt die Realität, dass wir uns nach wie vor im grauen Mittelmaß befinden. 1996 belegten wir noch einen dritten Platz und zählten zusammen mit der USA, Russland und China zu den führenden Sportnationen. Nun haben wir uns auf dem 9. oder 10. Platz "festgebissen" und zählen nur noch zum Mittelmaß. Deutschland hat sich also auch am gestrigen und heutigen Wettkampftag, was den Medaillenspiegel betrifft, um keinen Zentimeter nach vorne bewegt. Es sieht auch nicht danach aus, dass in den verbleibenden Wettkampftagen noch der große Sprung nach vorne gelingen wird.

Goldhoffnungen gab es viele für den heutigen Tag, erfüllt wurde nur die eine 100%-ige im Rudern durch den Doppelvierer der Damen, der bereits seit 7 Jahren ungeschlagen ist und seine Vormachtstellung auch in Sydney unter Beweis stellen konnte. In der Besetzung Manja Kowalski, Meike Evers, Manuela Lutze und Kerstin Kowalski erruderte sich dieser Doppelvierer souverän die Goldmedaille. Eine weitere sichere Goldhoffnung war der Doppelvierer der Herren. Doch diese Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase. Lange in Führung liegend, hatte der Doppelvierer der Herren mit den drei Olympiasiegern von 1992 und 1996 Andrè Willms, Stephan Volkert und Andreas Hajek und dem Neuling Marco Geisler am Ende des Rennens nichts mehr zusetzen und musste froh sein, wenigstens den dritten Platz gerettet zu haben. Dies war die Enttäuschung Nr. 1 des heutigen Wettkampftages. Silber gab es im Doppelzweier der Leichtgewichte durch Valerie Viehoff und Claudia Blasberg, die die hochfavorisierten Rumänninen fast, aber eben nur fast, bezwungen hätten. Die Silbermedaille ist jedoch als Erfolg zu werten, wie auch das gesamte Abschneiden des Deutschen Ruderverbandes. Einer der wenigen Verbände, der die Hoffnungen zumindest erfüllen konnte. Wenn er auch noch die Probleme im Riemenbereich in den Griff bekommt und man sieht, dass daran gearbeitet wird, ist der DRV auf dem richtigen Weg.

Im Segeln gab es weitere Goldhoffnungen für die deutsche Mannschaft in der Tornado-Klasse und im Mistral. Beide Hoffnungen erfüllten sich nicht, unterm Strich blieb Silber für Amelie Lux (Mistral) und Bronze für die mehrfachen Weltmeister Roland Gäbler/René Schwall (Tornado). Amelie Lux hatte bis zum letzten Wettkampftag geführt. Ihre Silbermedaille ist sicherlich ein Erfolg, den man vor den Spielen nicht unbedingt erwarten konnte. Doch wer bis zuletzt führt, sollte zumindest das Ziel und den unbändigen Willen haben, auch zu gewinnen. Es sah so aus, dass dieser unbändige Wille fehlte, vor allem nachdem feststand, dass Silber bereits sicher war. Die Italienerin Alessandra Sensini jedenfalls war mit Silber nicht zufrieden, zog vorbei und gewann folgerichtig Gold.
Die letzten Weltmeisterschaften in der Tornado-Klasse wurden von Roland Gäbler/René Schwall dominert. So gesehen ist die Bronzemedaille höchstens das Minimum dessen, was man sich zum Ziel gesetzt hatte. Zum Maximum jedenfalls reichte es nicht, es siegten die beiden Österreicher Roman Hagara/Hans-Peter Steinacher. Die Segler scheinen jedoch wieder auf dem Vormarsch zu sein, nachdem die Olympischen Spiele in Barcelona und in Atlanta recht enttäuschend verliefen.

Nahtlos in die Fußstapfen der erfolglosen Schwimmer scheinen nun in der 2. Woche die deutschen Leichtathleten treten zu wollen. Heinz Weis und Karsten Kobs scheiterten gestern im Hammerwerfen bereits im Vorkampf, so dass die Medaillen heute ohne deutsche Beteiligung vergeben wurden. Gold ging überraschend an den Polen Szymon Ziolkowski mit 80,02m. Beim Hochsprung der Herren hatte man die Hoffnung, dass Wolfgang Kreissig in das Medaillenrennen eingreifen kann. Diese Hoffnung bestätigte Kreissig zunächst auch, in dem er alle Höhen bis 2,29m im ersten Versuch nahm. Weitere Hoffnung wurde genährt, nachdem sich zeigte, dass der Überflieger der Saison Wjatscheslaw Woronin einen rabenschwarzen Tag erwischt hatte, 2,29m erst im 3. Versuch schaffte und an 2,32m scheiterte. Nun lag es an Wolfgang Kreissig, die 2,32m zu überspringen, die gereicht hätten, um eine Medaille zu gewinnen. Die Nervosität war Wolfgang Kreissig förmlich anzusehen, es fehlte die Lockerheit, die man bei deutschen Wettkämpfern nur allzu selten sieht. Wolfgang Kreissig scheiterte dementsprechend dreimal an der "Medaillenhöhe" 2,32m. "Hochsprungfuchs" Javier Sotomayor meisterte diese Höhe im ersten Versuch und sicherte sich damit bereits Silber. Gold ging an den Russen Sergej Kljugin, der als einziger die 2,35m schaffte. Sabine Braun kam im Siebenkampf auf Platz 5 und Karin Ertl auf Platz 8. 6584 Punkte reichten der Britin Denise Lewis zum Sieg. Das bisherige Abschneiden der deutschen Leichtathleten werten wir als Enttäuschung Nr. 2 des heutigen Wettkampftages. Vor einem Jahr bei der WM in Sevilla hatte man in den bisher ausgetragenen Disziplinen noch drei Medaillen (Gold : Karsten Kobs - Hammerwerfen; Silber: Oliver-Sven Buder - Kugelstoßen; Bronze: Martin Buß - Hochsprung) gewonnen, nun stehen wir bei "0". Noch haben die deutschen Leichtathleten die Chance, die Bilanz in den kommenden Tagen aufzubessern, allein uns fehlt der Glaube, da die bisherigen Saisonleistungen nicht gerade zu Optimismus Anlass geben.

Enttäuschung Nr. 3 sind die deutschen Kunstturner, denn diese werden die Wettbewerbe ohne Medaille und ohne Anschluss zur Weltspitze abschließen. Aber die Kunstturner liegen voll im Trend, denn Mittelmaß sind sie allemal.

Positiv werten wir das Auftreten der deutschen Säbelfechter, die auch mit der Mannschaft zum ersten Mal eine Bronzemedaille gewannen. Allerdings fiel auch hier auf, dass im Halbfinale, als es wieder einmal um den entscheidenden Treffer ging, dieser zum wiederholten Male bei dieser Olympiade vom Gegner gesetzt wurde.

Den entscheidenden Treffer im Damen-Fußball-Halbfinalspiel zwischen Norwegen und Deutschland erzielte die deutsche Mannschaft in Person von Tina Wunderlich. Ärgerlich war nur, dass der Schuss nach hinten los ging und Tina Wunderlich ins eigene Tor traf. Obwohl die deutsche Mannschaft fast ständig überlegen war, reichte dieser Blackout aus, um die deutsche Mannschaft zu besiegen. Auffällig war auch in dieser Begegnung, dass die Nervosität mit zunehmender Spieldauer zunahm. Es fehlte auch hier die Lockerheit und vielleicht auch das Quentchen Glück, um die Überlegenheit in Tore umzumünzen. Für uns nach dem Spielverlauf Enttäuschung Nr. 4 des 9. Wettkampftages.

Enttäuschung Nr. 5 lieferte die deutsche Handballmannschaft der Herren, die bisher nur positiv überrascht hatte. Wer die Medaillenfavoriten Russland und Jugoslawien schlägt, der müsste eigentlich auch mit Ägypten fertig werden, so meint man. Nachdem man auch noch mit einigen Toren in Führung lag, schien das Spiel zum Selbstläufer zu werden. Die Ägypter nutzten die Nachlässigkeiten der deutschen Mannschaft gnadenlos aus, holten den Rückstand auf und führten zeitweise mit drei Toren Unterschied. Gegen Ende des Spiels kam die deutsche Mannschaft zwar noch einmal auf 21:22 heran, aber zu mehr reichte es nicht mehr. Konsequenz dieser Niederlage ist nun, dass Deutschland die Gruppenspiele lediglich als Gruppenzweiter beendet und im Viertelfinale auf die sicherlich starken Spanier trifft. Wir warten schon gespannt darauf, wie die deutsche Mannschaft in diesem Spiel mit dem Druck fertig werden wird, dass es hier um den Einzug in das Halbfinale geht.

Das Viertelfinale erreicht hat die Damen-Volleyballmannschaft durch einen 3 : 1 - Sieg gegen Italien. Mit diesem Ergebnis hat sie ihr Soll erreicht. Ein Erreichen des Halbfinales wäre sicherlich eine positive Überraschung.

Positiv überraschen konnten am 9. Wettkampftag die beiden Beach-Volleyball-Veteranen Jörg Ahmann und Axel Hager, die überraschend auch die beiden Spanier Bosman/Diez mit 16:14 bezwangen und ins Halbfinale einzogen. Dort jedoch trafen sie auf die beiden brasilianischen Top-Spieler und Goldfavoriten Ze Marco/Ricardo, gegen die sie mit 5 :15 den Kürzeren zogen. Nun spielen die beiden Beach-Volleyballer um Bronze.

Trotz der auf den ersten Blick vielen Medaillen am 9. Wettkampftag wurden, wie wir oben aufgezeigt haben, sehr viele Erwartungen nicht erfüllt. Man sollte sich deshalb nicht von der Anzahl der Medaillen blenden lassen, denn immerhin wurden gestern und heute auch die Anzahl der ausgetragenen Wettbewerben gegenüber den ersten 7 Tagen gesteigert. Heute wurden immerhin in 23 Wettbewerben Medaillen vergeben.
Wir möchten hier mal den erfahrenen Fußball-Trainer Otto Rehhagel zitieren. "Entscheidend ist auf dem Platz" äußerte König Otto mal einem Journalisten gegenüber. Der "Platz" für die deutsche Olympiamannschaft ist nun mal der Medaillenspiegel. Dieser zeigt den wahren Leistungsstand nun mal auf und der signalisiert (leider) Mittelmaß.

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