Tagebuch 21.09.2000 |
Olympische Spiele Sydney 2000
Tagebuch 21.09.2000
Der heutige
Tagebuchbericht soll mit einer Frage begonnen werden: Was zählt
in unserer Gesellschaft?
Die Antwort lautet: Nur der Erfolg, nur der Sieg. So gesehen war
das Abschneiden der deutschen Mannschaft heute wieder nicht allzu
berauschend. Nimmt man sogar den Medaillenspiegel zur Hand, wird
deutlich, wo der deutsche Sport zur Zeit einzuordnen ist. Im
grauen Mittelmaß, der 10. Platz in der bisherigen
Medaillenwertung unterstreicht diese These.
Zählt wirklich nur der Erfolg? Keine Nation belegte seit Beginn der Spiele in Sydney mehr vierte Plätze als die deutsche Mannschaft. Viertbester in der Welt, ist das heutzutage nichts mehr? Es scheint fast so, denn von den vierten Plätzen wird in der Regel keine Notiz genommen. Was bei Olympia zählt, ist eigentlich nur Gold und von dieser Sorte haben wir es nach sechs Wettkampftagen gerade mal auf drei gebracht. In unserer Gesellschaft zählt der Zweitplazierte als erster Verlierer. Bedeutet deshalb Silber und Bronze wirklich nichts mehr? Diese Frage müssen sich vor allem zahlreiche Journalisten und Berichterstatter stellen, denn sehr häufig sind es die Medien, die einen immensen, für die Sportler kaum zu bewältigenden Druck ausüben.
Mit dem Druck gut umgehen zu können, scheinen die deutschen Bogenschützinnen. In Atlanta mit Silber dekoriert, bestätigten sie diesen Erfolg auch in Sydney und holten in der Besetzung Barbara Mensing, Cornelia Pfohl und Sandra Sachse Bronze. Nur im Halbfinale verlor man gegen Südkorea, wo Bogenschießen Volkssport ist. Vermutlich hätte die 10. Mannschaft der Koreanerinnen ausgereicht, um in Sydney Gold zu holen, so überlegen sind die Koreaner der Konkurrenz in dieser Sportart.
Nachdem im
Fechten die Wettbewerbe mit dem Degen vorbei sind, ist auch die
medaillenlose Zeit in dieser ehemals deutschen Domäne vorbei.
Rita König musste sich beim Florett-Einzel der Damen vor allem
mit der Konkurrenz aus Italien auseinandersetzen, nachdem sie im
Achtelfinale u.a. Sabine Bau bezwungen hatte.
Im Halbfinale traf Rita König auf Giovanna Trillini und schaffte
dann auch den Einzug ins Finale. Im Finale jedoch war die
Weltranglistenerste Valentina Vezzali, ebenfalls aus Italien,
eine Nummer zu groß und setzte sich durch. Wir sind jedoch der
Meinung, dass Rita König Silber gewonnen und nicht Gold verloren
hat.
Mit seiner erfrischenden Art und Weise begeisterte im Säbelfechten
der in Thailand geborene Wiradech Kothny die Zuschauer. Im Säbelfechten
hat Deutschland noch nie eine Einzelmedaille gewonnen, diese
Flaute beendete Wiradech Kothny mit dem heutigen Tag. Im
Halbfinale scheiterte er zunächst knapp an dem späteren
Olympiasieger Mihai Covaliu (ROM), behielt dann aber im Gefecht
um Platz 3 gegen den ungarischen Favoriten Domonkos Ferjancsik,
der einige Male durch Unbeherrschtheit auffiel und einen
Strafpunkt hinnehmen musste, die Nerven und siegte verdient. Auch
nach diesem tollen Erfolg erlauben wir uns die Frage, ob denn
diese Bronzemedaille von Wiraech Kothny etwa nicht "Gold
wert" ist?
Von den Schwimm-Wettbewerben gibt es auch leider heute nichts Positives zu berichten. Christian Keller konnte die Medaillenhoffnungen über 200m Lagen nicht erfüllen und belegte im Endlauf einen dennoch respektablen 6. Platz. Für Antje Buschschulte muss man es bei ihrer derzeitigen Form schon als Erfolg werten, dass sie das morgige Finale über 200m Rücken ebenso wie Hannah Stockbauer über 800m Freistil erreicht hat.
Bei den Bahnrad-Wettbewerben ging der zweimalige Weltmeister Jens Fiedler als Favorit in die Keirin-Wettbewerbe, in denen über 1,5km sechs Fahrer, darunter auch der zweite Deutsche Jan van Eijden, um den Olympiasieg sprinteten. Jens Fiedler beging in diesem Wettbewerb den entscheidenden taktischen Fehler, dass er versuchte, das Rennen von vorne zu gewinnen. So war es nicht verwunderlich, dass der Franzose Florian Rousseau und der Australier Gary Neiwand vorbeizogen und für Jens Fiedler lediglich Bronze blieb.
Bereits
gestern wurde beim Gewichtheben der bulgarische
Silbermedaillengewinner Ivan Ivanov disqualifiziert, weil ihm die
Einnahme eines Dopingmittels nachgewiesen wurde. In die
Medaillenränge rückte dafür ein chinesischer Gewichtheber, der
somit in die Genuss einer Bronzemedaille kommt. Es stellt sich
sicherlich die Frage, ob man damit nicht den Bock zum Gärtner
gemacht hat??
Heute wurde bekannt, dass weitere bulgarische Gewichtheber gedopt
waren. Deshalb droht nun der gesamten Mannschaft der Ausschluss
aus den Wettbewerben.
Eine hervorragende Leistung zeigte bei den Tischtenniswettbewerben das erst 19jährige Talent Timo Boll, der den Bronzemedaillengewinner von Barcelona 1992 und Medaillenkandidaten Kim Tae-Sok überraschend bezwang und ins Achtelfinale einzog. Gleiches tat ihm Routinier Jörg Roßkopf nach und steht ebenfalls im Achtelfinale der olympischen Tischtenniswettbewerbe.
Die Herren-Hockey-Nationalmannschaft kam gegen die Hockey-Nation Pakistan zu einem 1:1-Unentschieden. Dieses Unentschieden nützt sicherlich der deutschen Mannschaft mehr als den Pakistanis, hat man doch die beiden ersten Spiele gewonnen. Der Einzug ins Halbfinale ist greifbar nahe.
Beim Turn-Mehrkampf der Damen gab es das Kuriosum, dass sämtliche Sprünge beim Pferdsprung wiederholt werden mussten, da das Turngerät nicht die erforderliche Höhe aufwies. Für Rumänien war der Mehrkampf eine Demonstration ihrer Stärke, denn auf dem Siegertreppchen standen ausschließlich rumänische Turnerinnen (Gold: Andreea Raducan; Silber: Simona Amanar; Bronze: Maria Olaru).