Tagebuch 30.09.2000

Olympische Spiele Sydney 2000

Tagebuch 30.09.2000

Eine Flut von Entscheidungen standen am vorletzten Wettkampftag bei den Olympischen Spielen in Sydney an. In genau 42 Disziplinen wurden heute Medaillen vergeben und es zeichnete sich bereits kurz nach Mitternacht mitteleuropäischer Zeit ab, dass die Aufholjagd der deutschen Olympiamannschaft in der 2. Woche erfolgreich weitergehen würde.

Bei den Kanuten standen Finalläufe an und in dieser Sportart haben die Deutschen die Zeichen der Zeit im Gegensatz zu anderen Sportarten nicht verpasst und zogen mit 10 von 12 möglichen Booten ins Finale ein. Beim Einer-Canadier über 1000m lag der mitfavorisierte Andreas Dittmer, Bruder der Triathletin und Olympia-Teilnehmerin von 2000 Antje Dittmer, nach der Hälfte des Rennens noch mit fast zwei Längen in Rückstand hinter Weltmeister Maxim Opalew (RUS), um dann in einem fulminanten Schlussspurt noch das gesamte Feld von hinten aufzurollen und zu deklassieren. Die erste Goldmedaille für die deutsche Kanuten war eingefahren und die zweite folgte zugleich. Die 40 jährige Birgit Fischer führte den deutschen Vierer-Kajak über 500m an. Ihr zur Seite standen mit Anett Schuck, Katrin Wagner und Manuela Mucke weitere in der Vergangenheit bei Großereignissen erfolgreiche Athletinnen. Es war von vorne herein klar, dass sich zwischen dem deutschen und ungarischen Vierer ein Kopf-an-Kopf - Rennen entwickeln würde. Den besseren Start hatte der ungarische Vierer, doch Birgit Fischer arbeitete sich mit ihrem Team Schlag um Schlag an die Ungarinnen heran, um dann nach ca. Mitte des Rennens die Führung zu übernehmen. Diese Führung gab das deutsche Boot bis zum Schluss des Rennens nicht mehr ab und feierte einen viel umjubelten Sieg. Für Birgit Fischer war es bereits die 6. Goldmedaille in ihrer glanzvollen Karriere seit 1980 (!!). Damit ist sie der erfolgreichste deutsche Olympionike aller Zeiten und hat morgen mit Katrin Wagner im Zweier-Kajak über 500m die Chance, noch das i-Tüpfelchen auf ihre großartige Laufbahn zu setzen.

Etwas überraschend kam die Bronzemedaille für Stefan Uteß und Lars Kober im Zweier-Canadier über 1000m, nachdem die beiden nach der Hälfte des Rennens noch aussichtslos zurückgelegen hatten. Im Kajak-Vierer der Herren über 1000m deutete sich derselbe Zweikampf zwischen Deutschland und Ungarn wie im Kajak-Vierer der Damen über 500m an, nur in diesem Fall mit anderem Ausgang. Das deutsche Kajak-Boot mit Jan Schäfer, Mark Zabel, Björn Bach und Stefan Ulm hatte zwar den schnelleren Start, musste aber mit ansehen, wie die Ungarn näher und näher kamen, vorbeizogen und letztendlich auch gewannen. Trotzdem ist auch die Silbermedaille als Erfolg zu werten, wenngleich die vier deutschen Kanuten Gold angestrebt hatten. Eine insgesamt großartige Leistung der deutschen Kanuten am 1. Finaltag. Überraschend bei den Kauwettbewerben war, dass "Nobody" Kuba in dieser Sportart gleich zwei Medaillen erreichte. Also aufgepasst deutsche Sportler: Es ist nicht verboten, in vermeintliche Domänen anderer Nationen "einzubrechen" und dort Medaillen zu ergattern. Aufgerufen sind vor allem die Badmintonspieler, Tischtennisspieler etc.

Im Laufe der Nacht sollte die deutsche Olympiamannschaft noch mehrfach Gelegenheit bekommen, ihr Gold-Konto aufzubessern, doch es schien zunächst wie verhext. Eine Wachablösung im Dressurreiten hatte sich schon angedeutet, hatte doch die Niederländerin Anky van Grunsven die Führung vor den deutschen Teilnehmerinnen Isabell Werth, Nadine Capellmann und Ulla Salzgeber übernommen. Diese Führung gab sie auch im entscheidenden Grand Prix Special nicht mehr her, sie stellte vielmehr einen Weltrekord auf und gewann souverän Gold. Silber und Bronze gingen an die deutschen Reiterinnen Isabell Werth, deren Pferd Gigolo nach der Olympiade in seinen wohlverdienten Ruhestand geht, und an Ulla Salzgeber aus Bad Wörrishofen.

Beim Einzelzeitfahren der Straßen-Radfahrer lagen die deutschen Hoffnungen auf Jan Ullrich, wobei die gesamte internationale Konkurrenz um Lance Armstrong, Laurent Jalabert, Abraham Olano, Alex Zülle etc. auf ihn wartete. Überraschend setzte sich der früh ins Rennen gegangene Wjatscheslaw Jekimow aus Russland zunächst an die Spitze und fuhr eine Zeit, an der sich alle anderen Fahrer die Zähne ausbeissen sollten. Lance Armstrong und Jan Ullrich lagen fast während des gesamten Zeitfahrens um einige Sekunden gegenüber Jekimow, der übrigens ebenfalls wie Armstrong im US Postal Team fährt, zurück. Bei der letzten Zwischenzeit jedoch lag Jan Ullrich plötzlich mit 5 Sekunden vor Jekimow und Hoffnungen auf die zweite Goldmedaille wurden genährt. Doch Jekimow muss im letzten Teilstück ein phamoses Rennen gefahren sein, denn Ullrich lag im Ziel wieder 8 Sekunden hinter Jekimow und gewann Silber noch vor Lance Armstrong, dem Tour de France-Sieger 1999 und 2000.

Im Match Race - Finale beim Soling-Segeln traf Jochen Schümann, Olympiasieger 1976, 1988 und 1996, mit seiner Crew auf den Olympiasieger von 1992 Jesper Bank. Es stellte sich heraus, dass Jochen Schümann eigentlich der bessere Segler war, doch es hagelte in den einzelnen Rennen Proteste der Dänen gegen die Fahrweise von Jochen Schümann. Meistens bekamen die Dänen Recht, so dass Schümann in einigen Rennen noch als Strafe Kringel drehen musste, die ihm viel Zeit kosteten. So auch im entscheidenden 7. Rennen, was zur Folge hatte, dass Schümann, in aussichtsreicher Position liegend, nachdem er zuvor ca. 20 Sekunden Rückstand wett gemacht hatte, als Zweiter über die Ziellinie kam. Wieder einmal hatte ein deutscher Olympiastarter ein Finale verloren. Unterm Strich blieb Silber für die bessere Crew.

Nun war nur noch eine deutsche Gold-Hoffnung an diesem Tag im Wettbewerb, nämlich der Freistil-Ringer Alexander Leipold in der Klasse bis 76kg. Bereits gestern hatte er das Finale erreicht, in dem er gegen den US Anerikaner Brandon Slay antreten musste. Bereits beim Anblick des Amerikaners konnte einem Angst und Bange werden, denn der Amerikaner wirkte deutlich schwerer als Alexander Leipold. Das Wiegen war am letzten Dienstag und zu diesem Zeitpunkt hatten beide Ringer weniger als die geforderten 76kg. Der Amerikaner muss in den Tagen zwischen Dienstag und Samstag deutlich an Gewicht zugelegt haben. In den ersten drei Minuten kam Leipold mit Brandon Slay überhaupt nicht zu Recht und hatte noch Glück, dass eine 1er-Wertung des Mattenrichters zu Gunsten des Amerikaners beim Kampfgericht keine Anerkennung fand. Für den ersten Griff in der 2. Runde wurde Alexander Leipold ausgelost. Ein entscheidender Vorteil, der letztendlich Gold wert war. Der Amerikaner wollte diesen Griff partout nicht zulassen und Leipold wurde deshalb eine Zweier-Wertung zugesprochen. Erneut wegen unsauberem Kampfstil - der Amerikaner präsentierte sich nicht gerade als fairer Sportsmann - wurde Leipold einen weiteren Punkt zuerkannt. Dies war eine Vorentscheidung zu Gunsten des ebenso cleveren wie sympatischen Schifferstadter Ringers Alexander Leipold, der sich gegen Schluss des Kampfes noch die Oberlage sicherte und einen weiteren Zähler auf der Habenseite zum 4 : 0 - Endstand verbuchen konnte. Alexander Leipold wurde nach dem Kampf von der Presse als Nachfolger des legendären "Kran von Schifferstadt" Wilfried Dietrich bezeichnet und bejubelte seinen Olympiasieg mit einem gekonnten Salto.

Bei den Box-Wettbewerben holte Sebastian Köber Bronze im Schwergewicht, nachdem er dem kubanischen Box-Idol Felix Savon im Halbfinale unterlegen war. Savon gewann nach Barcelona 1992 und Atlanta 1996 seine dritte olympische Goldmedaille. Die Bilanz des Deutschen Amateur-Box-Verbandes hingegen ist schwach, sehr schwach sogar. Wenn man mal vergleicht, dass z.B. Spanien und Nordkorea nur je einen Boxer nach Sydney geschickt haben und diese sogar Medaillen gewannen, sind der Aufwand und die Kosten, die für das große deutsche Boxteam mit insgesamt 8 Boxern aufgewendet wurden, in keinem Verhältnis zum Ertrag.

Fast eine Überraschung schaffte die deutsche Gruppe in der Rhythmischen Sportgymnastik. Am Ende blieb jedoch der 4. Platz hinter den Gruppen von Russland, Weißrussland und Griechenland.

Bis auf den morgen stattfindenden Marathonlauf der Herren kamen heute auch die Leichtathletik-Wettbewerbe zum Abschluss, welche für das deutsche Leichtathletik-Team wenig versöhnlich, weil medaillenlos, endeten. Speerwerferin Steffi Nerius kam einer Medaille noch am nächsten und belegte einen 4. Platz. Marion Jones gewann mit der amerikanischen 4x400m Staffel ihre 3. Goldmedaille. Mit der 4x100m Staffel jedoch blieb ihr lediglich Bronze hinter den Bahamas und Jamaika. Zu schwach waren die anderen Läuferinnen der USA, als dass Marion Jones als Schlussläuferin dieses Rennen noch hätte gewinnen können. Eine insgesamt enttäuschende Bilanz muss man der deutschen Leichtathletik-Mannschaft mit insgesamt 5 gewonnenen Medaillen (2xGold für Nils Schumann und Heike Drechsler, Silber für Lars Riedel, 2xBronze für Astrid Kumbernuss und Kirsten Münchow) bescheinigen. Der Rückwärtstrend der deutschen Leichtathletik hält an, zumal der "DDR-Bestand" an guten Leichtathleten immer geringer wird. Nachwuchs ist nur wenig in Sicht, abermals ein Versäumnis eines großen deutschen Sportverbandes. 10 Jahre lang konnte man sich auf den Loorbeeren ausruhen, die die Wiedervereinigung gebracht hat. Nun nähert man sich mit Riesenschritten dem Leistungsniveau der bundesdeutschen Leichtathleten, die diese vor der Wende hatten. Ein weiteres trauriges Kapitel deutscher Sportgeschichte bahnt sich an!!!

Mit Heike Drechsler wurde verdientermaßen eine große deutsche Sportlerin für die morgige Abschlussfeier dazu auserkoren, die deutsche Fahne tragen zu dürfen.

Vor dem Abschlusstag hat die deutsche Olympiamannschaft nun 13 Goldmedaillen, 17 Silbermedaillen und 24 Bronzemedaillen auf ihrem Konto. Die stärkere zweite Woche hat die deutsche Olympiamannschaft noch auf Platz 5 der Medaillenwertung hinter der USA, China, Russland und Australien geführt. Es bleibt abzuwarten, ob zumindest dieser 5. Platz morgen gegen Nachbar Frankreich (ebenfalls 13 Goldmedaillen) verteidigt werden kann.

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