Tagebuch 25.09.2000

Olympische Spiele Sydney 2000

Tagebuch 25.09.2000

Der 10. Wettkampftag war aus Sicht des Gastgeberlandes Australien heiß ersehnt worden, denn der 400m Lauf der Damen stand auf dem Programm und "Everybody's Darling" Cathy Freeman, die vor einigen Tagen die Ehre hatte, die olympische Flamme entzünden zu dürfen, ging an den Start. Der Druck lastete zentnerschwer auf den dünnen Schultern der Australierin, denn jeder (Australien, die Aborigines, von denen sie abstammt, die Presse und ihr Umfeld) erwartete von ihr nur eines, nämlich den Gewinn der Goldmedaille.

Wie man mit diesem Druck umgeht (deutsche Olympiakämpfer aufgepasst!!!), zeigte Cathy Freeman in beeindrucksvoller Manier. Sie gewann den 400m Lauf souverän vor der Jamaikanerin Lorraine Graham und der Britin Katherine Merry. Das Gastgeberland war nun endgültig in Hochstimmung, hatten doch bereits am Morgen die beiden australischen Beach-Volleyballerinnen Natalie Cook und Kerri Potthurst die hochfavorisierten Brasiliannerinnen Adriana Behar/Shelda besiegt.

Im 400m Lauf der Männer gab es nur einen Favoriten, Michael Johnson aus den USA. Auch Johnson belastete diese Favoritenbürde nicht sonderlich und siegte ähnlich souverän wie Cathy Freeman bei den Damen.

Aus deutscher Sicht stellte man sich die Frage, ob es wenigstens im Diskuswerfen zu einer Medaille reichen würde, wo wir mit Lars Riedel und Jürgen Schult gleich zwei heiße Eisen im Feuer hatten. Lars Riedel war gerade vor wenigen Wochen von einer Rückenverletzung zumindest einigermaßen genesen und noch rechtzeitig in Form gekommen. Seine Leistungssteigerung reichte immerhin zur Silbermedaille hinter dem Litauer Virgilius Alekna. Ein gerechtes Ergebnis, denn von sieben Saisonduellen konnte Alekna sechs für sich entscheiden. Lediglich beim ISTAF in Berlin siegte Lars Riedel. Jürgen Schult erreichte zum Abschluss seiner Karriere, obwohl er die Form des letzten Jahres nicht mehr hatte, den 8. Platz.

Große Medaillenhoffnungen hegte man auch im Dreisprung der Herren, doch Charles Friedek hatte, auch aus verletzungsbedingten Gründen, einen rabenschwarzen Tag und schied mit drei Fehlversuchen aus. Das britische Dreisprungdenkmal Jonathan Edwards gewann die Konkurrenz.

Einen kuriosen Wettkampf lieferte die deutsche Stabhochspringerin Nicole Humbert, denn von ihrer Anfangshöhe 4,15m bis 4,45m schaffte sie alle Höhen erst im letzten Versuch. Am Ende sprang für Nicole Humbert Platz 5 heraus noch einen Platz vor der zweiten deutschen Teilnehmerin Yvonne Buschbaum. Olympiasiegerin wurde die Weltmeisterin von 1999 Stacy Dragila aus den USA, eine ebenso sympathische Athletin wie die zweitplazierte australische Lokalmatadorin und Fotomodel Tatiana Grigorjewa.

Weitere Achtungserfolge gab es für Florian Schwarthoff über 110m Hürden (6. Platz) und Irina Mikitenko über 5000m (5. Platz), aber letztendlich zählen bei olympischen Spielen halt nur Medaillen. Wenn man nun wieder den bereits gestern gemachten Vergleich mit Sevilla heranzieht, sind wir auch heute wieder beträchtlich ins Minus gerutscht, denn in Sevilla gab es bei den gleichen Wettbewerben Silber und Bronze im Diskuswerfen für Jürgen Schult und Lars Riedel, Silber für Anja Rücker über 400m sowie Gold für Charles Friedek im Dreisprung. Eine bislang magere Ausbeute des DLV im Vergleich zum letzten Jahr.

Es scheint fast so, als sei der "DDR-Bonus" ca. 10 Jahre nach der Wende restlos aufgebraucht, denn gerade die Athleten, die seinerzeit noch für die DDR an den Start gingen und dort schon Erfolge feierten, werden nicht jünger. Dies gilt nicht nur für die Leichtathletik, sondern für fast alle anderen Sportarten auch. In Deutschland wurde nichts, aber auch wirklich gar nichts dafür getan, das Niveau auch nur annähernd zu halten, weder auf Verbandsebene, noch von Seiten der Politik und Gesellschaft, noch von Seiten der Athleten. Das miserable Abschneiden der deutschen Olympiamannschaft einzig und allein der Dopingproblematik in die Schuhe zu schieben (wer garantiert, dass bei uns nicht genauso viel oder genauso wenig wie in anderen Ländern gedopt wird?), da würde man sich vieles zu einfach machen. Als Gegenbeispiel kann man ganz einfach Frankreich nennen, unser Nachbarland, das die Zeichen der Zeit nicht nur im Fußball rechtzeitig erkannt hatte, die Förderung des Sports und die Jugendarbeit forcierte und vor allem aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, und nun die Ernte einfahren darf. Gratulation an Frankreich für ein optimales Sportfördersystem!! Bei uns werden ja grundsätzlich keine Fehler gemacht, bei den Athleten nicht, bei den Trainern, der Politik und den Funktionären schon gar nicht. Da man ja nach Meinung der Obengenannten alles richtig gemacht hat, kann man aus Fehlern auch nicht lernen. In dieser arroganten Denkweise liegt sicherlich mit das Kernproblem. Vielleicht muss die Klatsche noch viel größer werden, so wie vielleicht bei der letzten Fußball-EM, dass man endlich aufwacht!!

Um jedoch den teilweise hervorragenden Sport, der heute noch geboten wurde, nicht ganz zu vernachlässigen, bedarf es besonderer Erwähnung, dass die Russin Jelena Samolodschikowa heute am Boden ihre zweite Gerätegoldmedaille gewann. Auch Alexej Nemow gewann zum Abschluss der Turnwettbewerbe am Reck seine zweite Goldmedaille nach seinem Sieg im Mehrkampf (Einzelwertung).
Überraschend kam sicherlich der Olympiasieg vom Spanier Gevasio Deferr beim Pferdsprung.

Um den heutigen Tag aus deutscher Sicht doch noch positiv abzurunden, muss man erwähnen, dass es einem deutschen Athleten tatsächlich gelungen ist, bei den Olympischen Spielen seine beste Leistung abzurufen, denn beim Tenniswettbewerb der Herren hat Tommy Haas das Halbfinale erreicht. Von dieser Seite aus bereits jetzt recht herzliche Gratulation zu dieser hervorragenden Leistung!!

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