Olympische Spiele der Neuzeit

 

Paris 1924

Meilensteinen gleich auf einer unendlichen Landstraße, auf der der ewige Zug der Menschheit zieht, stehen die Olympischen Spiele in der Geschichte der sportlichen Entwicklung. Aber die Baumeister Zeit und Schicksal bauten nicht immer nach Maß und Zirkel, in den olympischen Kämpfen wechselten Zwerge und Riesen miteinander ab. Gigantisch ragt das Jahr 1924 aus den Reihen hervor. Wieder ist P a r i s, die glänzende Stadt des Lichts, der Hauptschauplatz der Ereignisse. Als verheißungsvoller Auftakt nehmen die ersten Olympischen Winterspiele in Chamonix einen besonderen Platz ein. Die Bereicherung des olympischen Programms hat einen gewaltigen Schritt vorwärts getan, sie nähert sich mehr und mehr einer universalen Schau aller Sportarten und Völker, wie sie der ursprünglichen tiefen Fassung des Gedankens entspricht.

Das reiche Frankreich setzte seinen Stolz darin, eine Anlage zu schaffen, die den erlesensten Komfort und die letzten Ausstrahlungen der Technik vereinigte. Das S t a d i o n v o n C o l o m b e s wurde zu einem Wunderwerk der sportlichen Kampfstätten, und der Ruf der roten Aschenbahn kreiste in den Träumen der Athleten. Es zeigte sich, dass Fleiß und Arbeit der Kämpfer in der Verfeinerung ihrer Methoden nicht zurückgeblieben waren, und die harmonsiche Verknüpfung von Höchstleistungen menschlicher Art führte zu einer triumphalen Darstellung des modernen Sportgeschehens.

Bis auf Deutschland, das unter den Fesseln des Versailler Vertrages blutete, waren sämtliche maßgebenden Staaten der Welt vertreten. Ein einziger dunkler Fleck in dem Spiegel der herrlichen sportlichen Ereignisse. Phänomenale Erscheinungen und Persönlichkeiten haben den VIII. Olympischen Spielen den Schimmer eines Glanzes verliehen, der gleich einem ewigen Licht in die Unsterblichkeit mündete. Das Fußballturnier versinnbildlichte nicht nur den modernen Sportzweig, der der Gesamtheit der Leibesübungen den kraftvollsten Auftrieb gab und die Millionen des Erdballs in seinen Bann schlug, es stellte, unvorhergesehen und ungeahnt wie ein echter Komet des Himmels oder eine exotische Blume des Urwalds, die in der Nacht ihre Pracht entfaltet, eine Mannschaft vor die erstaunten Augen der Welt, die das Wesen einer wahren Wunderelf vor der Prägung des heutigen Begriffes gestaltete. Der olympische Sieger U r u g u a y war jene traumhafte Idealverkörperung von Technik und Geist, Kraft und Schnelligkeit, die die Grenzen menschenmöglichster Geschicklichkeit und Virtuosität erreicht hatte. Aus dieser Elf strömten Eleganz und Wille in verschwenderischer Fülle, vor ihrem Siegezuge verblassten die Taten europäischer Gegner wie Nebel unter dem Sonnenlicht. Nicht minder bewundernswert aber war die Tatsache, dass sich das kleinste Land Europas, die S c h w e i z , durch einen heldenhaften Kampfgeist als letzter Rivale der Südamerikaner durchsetzte. Der unbekannte Gigant musste sich regen und rühren, den Zwerg im Endkampf 3 : 0 zu besiegen. So senkte sich verheißungsvoll der Vorhang hinter einem Schauspiel, das bis dahin seinesgleichen nicht gesehen hatte.

Eine neue Generation Europas schüttelte den Staub des Grauens von den Füßen und griff jugendfroh nach den Zeichen olympischer Sieger. Aus Englands Söhnen entstand ein Dreigestirn, das den alten Ruhm des Mutterlands des Sports mit frischem Lorbeer umkränzte.A b r a h a m s, L i d d e l und L o w e durchbrachen die Blockade amerikanischer Unbesiegbarkeit über 100m, 400m und 800m mit der Einmaligkeit letzter Hingabe.

Aber wie die Sonne alle anderen Sterne überstrahlt, so spottete die Natur in ihrer besten Schöpfung aller menschlicher Vorstellungskraft. In einer beispiellosen Steigerung schuf sie dem Finnen P a a v o N u r m i das Ideal des olympischen Helden schlechthin. Er war der Ausdruck stählernen Willens der irdischen Leistungsfähigkeit. Kalt, schweigsam, absolut. Unpersönlich groß kämpfte er nicht mehr mit Menschen, sondern ausschließlich mit der Zeit und sein kühler Blick auf die Uhr war ein Lugen nach dem Zeiger der Ewigkeit. Vier olympische Siege machten ihn zu einem der größten Athleten aller Zeiten. Das steinerne Denkmal seiner Heimat ist gegen die Wirklichkeit ein bescheidenes Abbild. Mit Ehrfurcht und Anerkennung musste man folgende Ergebnisse zur Kenntnis nehmen: 1500m in 3:53,6min, 5000m in 14:31,2min, 3000m Mannschaftslaufen in 8:32min.

Wie aus einer Krone, die mit Edelsteinen geschmückt ist, ein Diamant an faszinierender Kraft seine Brüder übertrifft, so gab es auch eine Möglichkeit, unter diesen Leistungen einen Höhepunkt festzuhalten. Am Tage des Querfeldeinlaufens sanken unter der glühenden Hitze mehr als die Hälfte der Athleten, die sich die Besten der Welt nannten, auf der Strecke fahlen Antlitzes dahin, über N u r m i s Zügen soll im Ziel ein zartes Lächeln gelegen haben.

Die offizielle Eröffnung der Olympischen Spiele 1924 fand am 05. Juli durch Staatspräsident Gaston Dumergue statt. Der olympische Eid wurde von Géo André (Frankreich/Leichtathletik) gesprochen. 3092 Athleten aus 44 Ländern, darunter 136 Damen, kämpften bei 126 Wettbewerben in 18 Sportarten und 5 Kunstwettbewerben um die olympischen Medaillen. Insgesamt wurden 1924 in Paris ca. 674.000 Zuschauer gezählt.

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