Olympische Spiele der Neuzeit

 

Stockholm 1912

Die Wahrheit der Vergangenheit ist oft ein bitteres Lied. Wie grausame Verleumdung muss es den Enkeln erscheinen, dass Deutschland 1909 die Übernahme der Olympischen Spiele für 1912 ablehnte. Schweden sprang dafür freudig in die Bresche und Stockholm, das nordische Venedig, wurde zum Schauplatz der VI. Olympischen Spiele.

Schweden war ein kleines Land. Es besaß nicht das Schwergewicht der Tradition, das die griechischen Spiele überglänzt hatte, aber es zeigte sich, dass auf dem kargen Boden zwischen Gebirgen und Seen ein starkes Volk wohnte, das erste Sportvolk der Erde. Hier ruhte der sportliche Gedanke nicht auf einer kleinen Schicht, sondern bildete einen Wesensbestandteil der Nation. Mitten in den Reihen der Sportleute marschierte wie in der alten Heldenzeit der König des Landes.

Mit der echten Begeisterung, die eine tiefe Liebe zu einer Sache erzeugt, wurden die Mittel in drei großen Lotterien für den Bua des Stadions zusammengebracht. Gesundes Gefühl und starker Heimatsinn sprachen aus der Gestaltung der Anlage. Zwischen Birken und Fichten sollte sich kein weißer Marmorbau gespenstisch erheben, aus Ziegeln und Granit formte der Wille des Baumeisters um den Kampfplatz eine gewaltige Ringmauer mit Bögen und Gewölben, aus der beherrschend zwei wuchtige Türme mit mächtigen Zinnen emporwuchsen.

Die Ausströmungen der Umwelt schlugen sich in kühnen und großartigen Leistungen nieder, deren anspornendes Vorbild sich bald bemerkbar machte.

Unter den bedeutungsvollen Vorgängen überzeitlicher Entwicklung steht das Auftreten eines finnischen Langstreckenwunders an führender Stelle. In H a n n e s K o l e h m a i n e n schickte das kleine finnische Volk seinen ersten großen Repräsentanten, der eine ebenso wunderbare wie einzigartige Nachfolgerschaft gefunden hat. Drei olympische Siege - über 5000m, 10000m und 8000m-Hindernislaufen - zeichnen vollauf das Bild seiner Großartigkeit. Die 5000m-Strecke wurde zum ersten Male in die Wettbewerbe eingereiht und hier traf der Finne auf einen Gegner, den schon damals der Hauch eines Weltruhms umwehte. Es war der Franzose Jean B o u i n, der wahrhaft zu den großen Könnern gehörte, aber in der Stunde der Entscheidung auf einen noch Größeren traf. Er führte das ganze Rennen in überlegener Haltung, bis der kleine Finne ihn im Endkampf niederrang. Die nackte Zeit von 14:36,6min spricht noch eindringlich über die Jahrzehnte hinweg. Olympische Glut strömt aus dem Zielbild des kanadischen Marathonsiegers M a c A r t h ur. Trompetenstöße künden der harrenden Menge die Ankunft des Siegers, langsamen Schrittes strebt der Canadier dem Ziele zu, dreht sich um den Pfosten und bricht zusammen. Ein übermächtiger Geist hatte dem Körper den letzten Willen einer übernatürlichen Kraft aufgezwungen.

Tragik umwittert das Schicksal des Zehnkampfsiegers T h o r p e (Amerika). Als Halbblutindianer ist er der erste olympische Sieger der farbigen Rassen, die von nun an stärker und stärker den weißen Völkern die Siege streitig machen. Bei der Preisverteilung preist ihn der schwedische König als den wunderbarsten Athleten der Welt. Ein Nachspiel raubt ihm den olympischen Sieg, da er sich früher im Baseball als Berufsspieler betätigt hatte. Als echter Vorläufer der japanischen Schwimmwunder rauschte K a h a n a m o k u über die 100m-Bahn und leitete die Umwälzung des Kraulstils in Europa ein.

Mit hoher Achtung gedenkt die olympische Geschichte der deutschen Leistungen in diesem Jahr. Es ist nicht möglich, alle anzuführen, aber der Einzelne ist nur ein Zeuge für die Lesitungsniveau der Gesamtheit. Nie war der leichtathletische Sport der ersten Goldmedaille näher als in diesen Kämpfen. H a n s L i e s c h e und H a n s B r a u n waren Könner von Weltformat, denen zum Sieg allein der letzte Hauch des Glückes fehlte. Liesche schaffte im Hochsprung 1,91m, während der Amerikaner Richards mit 1,93m Sieger wurde. Hans Braun's Sendung war mit dem 2. Platz über 400m in 48,3s nicht erschöpft. Er war der ideale Vorkämpfer der Leichtathletik schlechthin, dessen Leben in Vollkommenheit mit dem Fliegertod in Flandern abschloss.

Einzigartig aber ist der Triumph geblieben, den der Schwimmsport Deutschland beschert hatte. Im 200m-Brustschwimmen und im Kunstspringen blieben je drei deutsche Athleten an der Spitze. W. B a t h e , W.
L ü t z o w und M. M a l i s c h sowie P. G ü n t h e r, H. L u b e r und K. B e h r e n s haben mit heißem Herzen das Hissen der stolzen Fahne Schwarzweißrot an allen drei Flaggenmasten erlebt. Ein unvergessliches Bild!!!

Die offizielle Eröffnung der Olympischen Spiele von 1912 wurde von König Gustav V. von Schweden vorgenommen. Insgesamt gingen 2547 Athleten aus 28 Ländern, davon 57 Damen, an den Start. Die Medaillen wurden bei 102 Wettbewerben in 16 Sportarten vergeben. Dazu gab es erstmals 5 Kunstwettbewerbe.

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