Olympische Spiele der Neuzeit

 

St. Louis 1904

Über die olympische Brücke war der Sport der alten und neuen Welt miteinander in lebendige Berührung gekommen. Die Begegnungen von Athen und Paris hatten die erstaunliche Tatsache erwiesen, dass sich in Amerika auch der Sport in dem rasenden Tempo entwickelt, wie sich der gesamte Lebensstil entwickelt hatte. Mit beherrschender Überlegenheit hatten die Vertreter des Sternenbanners fast alle Siege an sich gerissen. Ihrem Können, ihrer Technik vermochten nur vereinzelte Ausnahmeerscheinungen Widerstand zu leisten, in der Gesamtheit zerschellte jegliche europäische Anstrengung.

Amerika war die führende Nation und die Austragung der III. Olympischen Spiele musste auf ihrem Boden jede Vergangenheit mühelos in den Schatten stellen können. St. Louis hat diese Hoffnungen vielfach mit dunklen Farben vermischt. Abermals erwies sich die Verkoppelung mit einer Weltausstellung nicht als förderndes Motiv. Der Sport Europas war wirtschaftlich nicht stark genug, um größere Expeditionen über den Ozean auszurüsten. Amerika war noch wirklich weite, weite Welt. Deutschland und Ungarn waren die einzigen Nationen, die mit einer kleinen Schar die Fahrt über das große Wasser wagten. Die weltumspannende Idee der Olympischen Spiele ihrer Zeit weit vorausgeeilt, in den Werkstätten arbeiteten die Techniker und Ingenieure noch an dem Ausbau der Maschinen, die die Völker später zusammenrücken sollten.

Ähnlich standen sich Leistungen und Organisationen gegenüber. Keine Feier leitete die Kämpfe ein, kein Ausklang schuf eine Erinnerung erhebender Art. Nüchtern und kalt trat das äußere Gesicht Amerikas hervor. Eine schmucklose Anlage wurde zum Schauplatz der Kämpfe gemacht. Eine schlichte Holzbarriere umsäumte den Platz, eine offene Tribüne war das einzige kahle Prunkstück und nur in gelegentlicher Zerstreuungssucht strömten einige Hunderte der Besucher der Weltausstellung nach der sportlichen Schau. Nirgends gab es eine Spur einer gepflegten Kultur. Die Teilnehmer wohnten in einem riesenhaften Hotel, das in seiner Größe mit mehr als 7000 Zimmern echt amerikanisch anmutete. Es war ein roher Holzbau, der den Atem des Urwalds nicht verleugnete und bar jeder Bequemlichkeit war. Erhaben, großartig und voller reicher Effekte war das Ende des Baues. Um die Kosten des Abreißens zu sparen, geisterte seine Kraft in Flammen zum Himmel empor.

Auf der sportlichen Seite wurde der olympische Gedanke nur zum Teil gewahrt. Das Fehlen einer ernsthaften europäischen Konkurrenz ließ die Kämpfe zu einem amerikanischen Sportfest werden. Allein die Höhe der Leistungen atmete olympischen Geist und bezeugte den unaufhaltsamen Fortschritt. Wieder stellte das amerikanische Volk eine phantastische Fülle hochbegabter Athleten heraus. Unverwüstlich riss R a y E w r y seine Sprungsiege im Hoch- und Weitsprung aus dem Stand an sich, um in ungebrochener Frische das Fest eines dritten Olympias zu erreichen. In seinem Hochsprung von 1,65m aus dem Stand lag gewiss bereits jene gewaltige Schnellkraft, die die Athleten der heutigen Zeit Höhe um 2,20m bis 2,30m meistern lassen.

Das hohe Lied eines dreifachen olympischen Triumphes fehlte nicht in dem Blütenkranze der großartigen Leistung. J.D. L i g h t b o d y, der später auch sein Können in Deutschland zeigte, siegte über 800m, 1000m und im 2000m-Hindernislauf. Ein Koloss an Kraft und Muskeln trat beim Kugelstoßen in den Ring: R.W. R o s e; gewaltig wie ein Urwaldriese, schmetterte er die Kugel auf 14,80m und neben ihm jagte J. F l a n a g a n den Hammer auf 51,23m durch die Lüfte.

Frechheit und Humor kreuzten sich beim Marathonlauf mit den Höchstleistungen menschlicher Energie. Ein amerikanischer Teilnehmer bestieg unterwegs kühn und wohlgemut ein Auto, ließ sich an die Spitze fahren und stahl dem eigentlichen Sieger den größten Beifall des Publikums, da er als erster den Platz erreichte und die freche Tat noch nicht ruchbar geworden war. Ein ähnlicher Vorgang sollte sich Jahrzehnte später bei den Olympischen Spielen 1972 in München wiederholen.

Im Schwimmsport war damals Europa den Vertretern der neuen Welt überlegen. Von den neun Schwimmwettkämpfen gewann Deutschland mit einer kleinen Truppe von 11 Athleten vier. C. R a u s c h siegte über die halbe und ganze englische Meile. W. B r a c k gewann das 100-Yards-Rückenschwimmen und
G. Z a c h a r i a s die 400m-Brusstrecke. Ungarn siegte ebenfalls in zwei Wettbewerben, so dass sich die Reise der beiden europäischen Expeditionen wohl gelohnt hatte. Amerika aber öffnete die Augen!!

In St. Louis gingen 687 Athleten aus 13 Ländern, davon 6 Damen, an den Start und trugen 94 Wettbewerbe in 19 Sportarten aus. Zum ersten Mal erhalten die drei Erstplazierten Gold-, Silber- und Bronzemedaillen.

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