Olympische Spiele der Neuzeit

 

Mexiko 1968

Um keine Olympia-Stadt hatte es seit dem Zeitpunkt ihrer Wahl so heftige Auseinandersetzungen gegeben wie um Mexico-City, die Stadt der XIX. Sommerspiele. Noch nie war von den führenden Sportnationen der Welt so viel an Geld und wissenschaftlichen Aufwand für die Vorbereitung der Sportler auf die olympischen Wettkämpfe investiert worden wie in den Jahren von 1965 bis 1967. Ärzteteams aus den USA, Schweden, der Sowjetunion, aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Österreich, aus Japan und England hatten in gründlichen Untersuchungen an Ort und Stelle die dramatische Warnung des englischen Olympiasiegers von 1956 im 3000m Hindernislauf Christoph Brasher zu entkräften versucht, die in dem Satz gipfelte: "Einige werden in Mexiko sterben."

Der Grund zu Brashers Einwand, der in der gesamten Sportwelt starkes Echo fand, war die extreme Höhenlage der mexikanischen Hauptstadt: 2270 Meter. Das ist etwa die Höhe des Eiger-Gletschers. Ein neues Schlagwort machte die Runde: Höhentraining. So bauten die Franzosen in Font Romeu in den Pyrenäen ein Leistungszentrum, das auf mexikanische Höhenverhältnise abgestellt war. Die schweizer zogen in St. Moritz nach. Deutsche Ruderer trainierten auf dem 2000m hoch liegenden Silvretta-Stausee im Montafon, die Schweden zogen bis ins äthiopische Hochland, wo der zweifache Marathon-Sieger Abebe Bikila trainierte.

Professor Nöcker, der Vorsitzende des Ausschusses zur Förderung des Leistungssports in der Bundesrepublik Deutschland, hat schon im November 1965 erklärt: "Bei den Olympischen Spielen in Mexiko wird es wegen der Höhenlage keine Toten geben. Wir können mit Sicherheit sagen, dass kein echter Sauerstoffmangel die Herzmuskulatur der Athleten beeinträchtigt - auch in dieser Höhe nicht." Allerdings steht fest, dass sogenannte Dauerleister, z.B. Langstreckler, in der Höhenluft einen Leistungsverlust in Kauf nehmen müssen. Vom sportlichen Standpunkt aus war ein anderes Problem noch wichtiger: Die Zeit der Anpassung an die Verhältnisse in Mexico-City. Dazu Professor Nöcker: " Es gibt Athleten, die keine Möglichkeit haben werden, sich in diesen Höhen länger vorzubereiten. Die sind klar benachteiligt."

Nichts von all den düsteren Prognosen traf ein. Sicherlich musste mancher Athlet nach dem Wettbewerb unter das Sauerstoffzelt oder schied nach Atem ringend aus. Aber die vielbeschworenen Gefahren blieben glücklicherweise aus. Und 16 Weltrekorde, darunter der "Jahrhundert-Weltrekord" im Weitsprung mit 8,90m durch den Amerikaner Bob Beamon, von denen ein Teil sogar erst in Mexiko wegen der extremen Höhenlage möglich war, sprechen eine deutliche Sprache.

Mexiko, das Land der frühen sozialen Revolution, das klassische Land der absoluten Rassengleichheit und Rassenvermischung, war wenige Monate vor den Spielen ohne eigenes Verschulden in einen sportpolitischen Streit geraten. Das IOC hatte in Grenoble den Beschluss verkündet, Südafrika wieder zu den Sommerspielen zuzulassen, nachdem das Olympische Komitee der Südafrikaner zugesichert hatte, im Gegensatz zu früher auch Farbigen den Start in der Olympia-Vertretung des Landes zu ermöglichen. Eine Boykottbewegung gegen die Spiele von Mexiko, vor allem in Afrika, war die Folge. Der Streit wurde beigelegt, Südafrika nahm nicht teil, die anderen afrikanischen Nationen erschienen.

Als dann Präsident Gustavo Diaz Ordas und der Präsident des IOC Avery Brundage die Spiele am 12. Oktober 1968 an einem strahlend schönen Sommertag eröffneten, waren alle Krisen überwunden. Dabei wurde das olympische Feuer erstmals in der Geschichte der Spiele von einer Frau entzündet, von der 20jährigen Studentin Enriqueta Basilio, einer Hürdenläuferin. Der olympische Eid wurde sowohl für die Athleten (von Pablo Garrido - Leichtathletik) als auch für die Kampfrichter (von Juan Escobedo Diaz (Hauptschiedsrichter) gesprochen. 5530 Athleten (781 Damen) aus 112 Ländern versuchten, in 172 Wettbewerben, die sich auf 20 Sportarten verteilten, olympische Medaillen zu erringen.

Stars der Spiele waren neben dem oben bereits erwähnten Weitsprung-Olympiasieger und Weltrekordler Bob Beamon die Turnkönigin aus der CSSR Vera Caslavska, die viermal siegreich blieb (Mehrkampf-Einzel, Stufenbarren, Pferdsprung, Boden) und mit der Mannschaft und am Schwebebalken auch noch Silber gewann.

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